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25.7.2020 | www.escuchasion.space

Sirenes Errantes: Servicio de Escuchasión [Zuhör-Service]

bis Sonntag, 1.11.2020

Montag, 4. Mai 2020. Ich las und N zeichnete, dann zeichnete ich und N las. Beim Lesen hatte ich ein Gefühl unendlicher Intimität und Liebe, obwohl M herumlief. Man hätte diesen Moment mit einem vergleichen können, in dem man Liebe mit jemandem macht, den man sehr begehrt. Das Lesen erinnerte mich auch an die Zeit, als ich M abends vor dem Schlafengehen vorlas. Es war wunderbar.

Ich wählte eine Geschichte aus Lucia Berlins A Manual for Cleaning Women mit dem Titel So Long aus, und wollte alles beschreiben, was darin vorkam: ihren Liebhaber, ihre Kinder, ihre Schwester, New York, Mexiko-Stadt.

Dann folgten fünfzehn wunderschöne Minuten voller Klänge, Geräusche, Stille, Sprechen in einer erfundenen Sprache, Flüstern, Tempo.

Wir waren fertig … tanzend fing ich an, einen großen Kürbis zu kochen, den ich auf dem UTT-Markt gekauft hatte. Wir sprachen mit M und ich röstete die Kerne. Ich fühlte mich lebendig, glücklich, leicht.

Als ich an der Reihe war zu zeichnen, stellte ich ein Röntgenbild meiner Lunge, den Beutel mit dem groben Salz und ein Kissen, das als Oberfläche diente, zurecht. Ich las und zeichnete. Ich ließ mich von ihrer Stimme, den Worten, der Geschichte befruchten. Ich bewegte das Salz und die Stimme berührte mich. Sie sprach laut. Ich ließ mich ganz darauf ein. Straßen, Gabeln, Spiralen erschienen. Dann hörte ich die verschiedenen Klänge, kleine Papiergeräusche, Gegenstände. Und ich bewegte das Bild weiter. Zuletzt hielt ich inne und betrachtete es aus verschiedenen Perspektiven, die ich alle interessant fand. Es war ein magischer Moment. N sagte, er habe anhand der Geräusche mit mir einen Spaziergang durch sein Haus gemacht.
(Aus dem Logbuch des Zuhör-Services einer Sirene Errante)

Die Stimmen der Sirenes Errantes [schweifende Meerjungfrauen] verbinden sich zu einem Körper, lauschen zwischen Atemzügen und locken Gefühle hervor. Als Gruppe arbeiten wir seit 2019 an einer Genealogie von Praktiken, Aktionen und Begegnungen. Wir nutzen Salz, den Körper, die Metapher der Meerjungfrau und ein Dorf kollektiver Emotionalität, um Wege der Sensibilisierung des sozialen Körpers zu finden.

Der gegenwärtige Kontext und das Virus machen uns erfinderisch. Wir überwinden die Distanz zwischen den Menschen durch eine neue Begegnung mit der Technologie. Sie wird zur Brücke, zum digitalen Kit, der Nähe schafft. Die Quarantäne durchbricht die Chrononormalität. Wir haben einen Servicio de Escuchasión [Zuhör-Service] erfunden, der die Kraft der Stimme als Instrument der Achtsamkeit, zum Aufbrechen der Zeit und als Begleitung nutzt. Sind wir in der Lage, uns mit Worten zu berühren? Wir werden zu sprechenden Zungen und verkörpern eine affektive Ansteckung, die Erdbewohner*innen in diesen ganz besonderen Umständen so dringend brauchen.

Der Servicio de Escuchasión ist eine einstündige Übung, in der zu einer Lesung mit grobem Salz gezeichnet wird. Sie reflektiert Momente stiller Wahrnehmung und das Produzieren von Textbüchern. Sie versteht sich als ein Service liebevoller Stimmen für Fremde, Stimmen, die ins Ohr flüstern, die berühren. Stimmen auf der Suche nach einer (un)bestimmten Nähe, nach einer neuen Leichtigkeit.

Ab dem 25. Juli 2020 beziehen wir ein kleines Stück Land im Internet. Unter www.escuchasion.space können Besucher*innen unseren Service abwechselnd und kostenlos nutzen. Wir laden dazu ein, auf dieser Webseite Anweisungen fürs Mitmachen entgegenzunehmen. Darüber hinaus entsteht dort ein Kollektives Sensibles Archiv mit Aufzeichnungen zu den Übungen, die im Lauf des Jahres 2020 durchgeführt werden.