Projekte
English / Deutsch

HUB

Anderes Kino

Mark Nash

Bei der 3. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst geht es um Reflexionen über die Neustrukturierung von Berlins urbanem und psychologischem Gefüge. Der HUB Anderes Kino präsentiert in Zusammenarbeit mit den Freund*innen der Deutschen Kinemathek im Kino Arsenal am Potsdamer Platz eine Auswahl filmischer Praktiken. Neben den Filmvorführungen finden auch Diskussionen mit Filmemacher*innen und Kulturkritiker*innen statt, die historische Hintergrundinformationen liefern und Zusammenhänge zur zeitgenössischen Kunst und Gesellschaft herstellen. Der Begriff „Anderes Kino“ kam in den sechziger Jahren im Zusammenhang mit dem politischen Projekt der Unabhängigkeitsbewegung der Dritten Welt auf; danach wurde er weiter gefasst und bezeichnete ein großes Spektrum ästhetischer und politisch oppositioneller Filmpraktiken. In diesem Sinne präsentieren auch einige der anderen Hubs „andere“ Kinos, der HUB Anderes Kino aber hat einen speziellen Schwerpunkt: Er möchte ein breiteres Verständnis für den kritischen Realismus der ostdeutschen Kino- und Kunstpraxis vermitteln. Die kürzlich in der deutschen Presse geführte „Ostalgie“-Diskussion ist Teil des momentanen Prozesses einer kulturellen und psychologischen Wiedervereinigung – ein Problem, das sehr viel komplexer ist als die rein politische oder demografische Wiedervereinigung.

Ein Schlüsselthema und sozialer Schwerpunkt des HUB Anderes Kino ist die Beschäftigung mit Leben und Kultur von Schwulen und Lesben in Ostdeutschland. Hier ist das Spiel mit dem Wort „anders“ – einer der zuerst von Magnus Hirschfeld in Berlin systematisch untersuchten sexologischen Termini für schwule und lesbische Sexualität – in dem DDR-Dokumentarfilm Die andere Liebe (1988) beabsichtigt. Der freiheitliche Aspekt des frühen Kommunismus der Sowjetunion ließ es zu, dass mit „anderer Sexualität“ damals großzügiger umgegangen wurde als im Westen, aber mit dem Aufkommen der reinen Lehre unter Stalin kehrte sich diese Situation um. In ähnlicher Weise mussten ostdeutsche Ideolog*innen in den fünfziger Jahren mit den Widersprüchen kämpfen, die in der fortgesetzten Diskriminierung einer von den Nationalsozialisten verfolgten Minderheit lagen. Während die DDR sich entschloss, die NS-

Version des Paragrafen 175 im Strafgesetzbuch aufzuheben und sie durch eine weniger drakonische Version von vor 1935 zu ersetzen, weigerten sich einige der westlichen Bundesländer, dies zu tun, obwohl sie vom Alliierten Kontrollrat dazu angehalten wurden. In den späteren Nachkriegszeit errang dann die Schwulenbewegung in Westdeutschland viele wichtige Siege.

Der HUB Anderes Kino beleuchtet jedoch die verschiedenen Erfahrungen von Menschen, die im Osten lebten. Heiner Carows Film Coming Out (1989) ist hier emblematisch – ein Produkt vieler Jahre der Diskussion in der ostdeutschen Gesellschaft, wie man die Erfahrungen der Homosexuellen im Osten anerkennen und darstellen könne. Dass der Film herauskam, war ein Zeichen für den neuen Liberalismus, den die Perestroika ausgelöst hatte. Das Erscheinen des Films wurde aber überlagert durch den Fall der Mauer und den unerwarteten Zusammenbruch des „real existierenden“ ostdeutschen Sozialismus. Wir präsentieren diese und andere dokumentarische und fiktionale Darstellungen von FilmemacherInnen beiderseits der Grenze, darunter auch Wieland Specks Westler (1985), der mit versteckter Kamera in Super-8 auf Ostberliner Straßen gedreht wurde und die Schwierigkeiten einer homosexuellen Beziehung schildert, die durch die Mauer getrennt war.

Außerdem zeigen wir Filme von Rosa von Praunheim, dessen Film von 1970 Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt für die Gründung der neuen westdeutschen Schwulenbewegung eine wesentliche Rolle spielte. Dass er dann 1973 im westdeutschen Fernsehen gesendet wurde, war ein wichtiges Ereignis für ostdeutsche Schwule und förderte die politische Aktivität und den künstlerischen Ausdruck, so zum Beispiel in den theatralischen Super-8-Filmen von Gino Hahnemann. Von Praunheim setzte sich auch für die Veröffentlichung der Arbeit der bekannten ostdeutschen Transsexuellen Charlotte von Mahlsdorf ein, die mit viel Liebe das Interieur der berühmten traditionsreichen Berliner Kneipe Mulackritze konserviert hatte. Weiterhin zeigen wir bisher unveröffentlichte ost-deutsche Dokumentarfilme, die sich mit diesen Themen beschäftigen, sowie persönliche Dokumente aus dieser Zeit. In der Filmkultur sind nur wenige Spuren lesbischen Lebens in Ostdeutschland zu finden. Die offizielle ostdeutsche Ideologie förderte aber die Frau als Arbeiterin, und einige „offizielle“ Filme jener Zeit beschäftigen sich mit den Konflikten, denen die Frauen der Arbeiterklasse ausgesetzt waren, wenn sie zwischen Arbeit und Familienpflichten hin- und hergerissen wurden. Solo Sunny (1980) ist einer der berühmtesten dieser Filme, die vor dem Zusammenbruch des ostdeutschen Staates und seines cineastischen Apparats produziert wurden. In seinem Mittelpunkt steht Sunny, eine Sängerin, die das konventionelle Leben mit ihrem Freund zu Hause in einem Ostberliner Bezirk aufgibt, um mit einer Band durchs Land zu tingeln. Der Film spiegelt auch die Diskurse der Frauenbewegung und Gegenkultur wider, die vom westlichen Kino der sechziger und siebziger Jahre her geläufig sind.

Im Rahmen des HUB Anderes Kino wird auch eine Reihe von Künstler*innen der 3. Berlin Biennale vorgestellt. Isaac Juliens Film Looking for Langston (1989) erkundet und zelebriert die Sehnsüchte schwarzer Schwuler in der Harlem-Renaissance und im Werk des Dichters Langston Hughes. Dieser Film wurde auf der Berlinale von 1989 gezeigt und sofort von Manfred Salzgeber, einem wichtigen Cineasten und Aktivisten der Schwulenbewegung, in den deutschen Verleih gebracht. Salzgeber setzte sich während der Wendezeit aktiv für das schwule und lesbische Kino im Osten ein. Sein Beitrag wird im Filmprogramm der Berlin Biennale gewürdigt. Als Protagonistin des Neuen Deutschen Films braucht Ulrike Ottinger speziell dem Berliner Publikum nicht vorgestellt zu werden. Ihr monumentales Erzählkino bleibt immer der Bemühung um das avantgardistische Experiment verpflichtet und bezieht oft lesbische Thematiken ein. Kulissen und Kostüme ihrer Filme, die auch Gegenstand ihres fotografischen Werkes sind, spiegeln das Entstehen einer lesbischen Kultur in Berlin wider. Filme aus ihrer Berlin-Trilogie sowie ihr Film Countdown (1990), der während der Wendezeit gedreht wurde, werden zur Berlin Biennale gezeigt.

Besonderer Dank gilt Stefanie Schulte Strathaus, Programmkuratorin am Kino Arsenal / Freunde der Deutschen Kinemathek e.V. für ihren Enthusiasmus und ihre unschätzbare Unterstützung sowie Yasmina Dekkar und Matthias Sohr für die Mitarbeit.